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Wie ein neues Wirgefühl entsteht
Kresimir Mostarcic gehört als Asylsozialberater in der Traglufthalle in Haar bei München zu den ersten Einheimischen, mit denen Flüchtlinge in Deutschland Kontakt haben. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen.
Das Interview wurde im Jahr 2016 geführt.
Als Asylsozialberater beim Verein „Hilfe von Mensch zu Mensch“ in der Traglufthalle in Haar bei München ist Kresimir Mostarcic für die Flüchtlinge viel mehr als ein Berater. „Ich bin Betreuer, Seelsorger, Bruder, Freund und Vater“, sagt der Sozialarbeiter, Jahrgang 1981, mit kroatischen Wurzeln. Vor allem aber sieht er sich als das „Tor zu Deutschland“. Was der studierte Zahnarzt damit meint und warum er überzeugt davon ist, dass in Deutschland die Integration der Flüchtlinge gelingt:
- Herr Mostarcic, „Das Tor zu Deutschland.“ Was meinen Sie damit?
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Asylsozialberater gehören zu den ersten Menschen, mit denen die Flüchtlinge in Deutschland Kontakt haben. Ich kann ihnen die Regeln erklären, nach denen unsere Gesellschaft funktioniert. Und ich kann ihnen aufzeigen, wie wichtig es für sie ist, Deutsch zu lernen.
- Ist Sprache der entscheidende Faktor für Integration?
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Verständnis entsteht durch Kommunikation. Aber es ist nicht nur die Sprache. Es geht auch darum, ob Flüchtlinge deutsche Freunde finden, ob sie sich irgendwann als deutsche Bürger empfinden. Meine Familie stammt aus Kroatien und lebt in dritter Generation in München. Darum habe ich wahrscheinlich einen besonderen Zugang zum Thema Migration.
- Wie ist es, als Deutscher mit Migrationshintergrund aufzuwachsen?
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Ich glaube, ich musste mich mehr beweisen, vor allem auf dem Gymnasium. Ich verstehe die Probleme vieler Asylsuchender, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden und eine andere Mentalität zu verstehen. Nicht jeder Mensch kann sich gleich schnell anpassen.
- Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie weit sind wir mit der Integration der Flüchtlinge?
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Bei 4,5 würde ich sagen. Wir haben schon fast die Hälfte geschafft! Die Grundbedürfnisse der geflohenen Menschen sind gedeckt. Jetzt fängt für sie der Schritt in die Gesellschaft an.
- Ist das nicht die eigentliche Herausforderung?
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Für Menschen, die im Krieg alles verloren haben, ist ein Leben in Sicherheit, ein Dach über dem Kopf und genug zu essen erst einmal die Hauptsache. Aber klar, es ist eine Herausforderung. Ich bin optimistisch.
- Wie entsteht ein Wirgefühl zwischen Einheimischen und Flüchtlingen?
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Durch die Vernetzung verschiedener Lebensbereiche – Schule, Beruf, Freizeit. Es gibt schon jetzt viele tolle Projekte. In Haar gehen Flüchtlinge und Einheimische miteinander joggen und Fußball spielen, sie treffen sich zum Tischtennis oder zum Kochen. Wir haben auch schon viele Flüchtlinge in Jobs vermittelt. Sie arbeiten zum Beispiel als Erntehelfer, beim Pizzaservice oder tragen Zeitungen aus.
- Wenn Sie einen Appell an die einheimischen Menschen in Bayern richten könnten, wie würde er lauten?
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Fördern und fordern. In Deutschland gibt es viele tolle Errungenschaften wie Freiheit, Gleichberechtigung, Demokratie und Rechtssicherheit. Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt. Unsere Gesellschaft ist auf diesen Grundsätzen aufgebaut. Jetzt müssen wir den Flüchtlingen vermitteln, wie wichtig uns diese Werte sind. Sie müssen verstehen, dass Deutschland gerade deswegen so gut funktioniert.
- Und wie wäre Ihr Appell an die Flüchtlinge?
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Sie waren in einer Notlage und die deutsche Gesellschaft hat sie aufgenommen. Jetzt ist es die Aufgabe der Flüchtlinge, dieses „Willkommen“ anzunehmen. Um hierzubleiben, müssen sie sich auch ein Stück weit verändern und unsere Kultur und unsere Werte nicht nur respektieren, sondern darin leben.
„Um hierzubleiben, müssen Flüchtlinge sich auch ein Stück weit verändern und unsere Kultur und unsere Werte nicht nur respektieren, sondern darin leben.“